Interview mit EMSCHERGENOSSENSCHAFT/ LIPPEVERBAND

Rechtlich gesehen sind Emschergenossenschaft (EG) und Lippeverband (LV) zwei Körperschaften des öffentlichen Rechts mit vergleichbaren gesetzlichen Aufgabenstellungen. Wir bündeln unsere Kompetenz seit inzwischen mehr als 90 Jahren und sind der größte Abwasserentsorger und Betreiber von Kläranlagen in Deutschland. Die Vorteile dieser Partnerschaft liegen auf der Hand: erhebliche Synergieeffekte durch mehr Wissen, mehr Erfahrung und mehr Wirtschaftlichkeit. Uns verbindet vor allem das gemeinsame Ziel, an Emscher und Lippe ökologisch, technisch und gestalterisch überzeugende Lösungen zu schaffen - in der Region und für die Region.
Wir haben ein Interview geführt mit Herr Dipl.-Ing. Norbert Stratemeier, Geschäftsbereich Planung und Bau, Geschäftsbereichsleiter EMSCHERGENOSSENSCHAFT / LIPPEVERBAND
1. Welches ist die größte Herausforderung für den NRW Infrastruktur Markt / Deutschland in Bezug auf Wasserwirtschaft?
Die Herausforderungen in der Wasserwirtschaft sind aktuell sehr anspruchsvoll. Einige Themen müssen gleichzeitig angegangen werden, da ist aufgrund des Klimawandels der Hochwasserschutz auf der einen Seite genauso herausfordernd wie der Umgang mit Dürre. Für einen ausgeglichenen ökologischen Zustand und eine große Artenvielfalt ist der zielgerichtete Ausbau der Gewässer notwendig. Zur Reduktion von stofflicher Belastung müssen neben der Reduktion von ubiquitären Schadstoffeinleitungen auch gezielt an den Kläranlagen weitere Anstrengungen unternommen werden. Wie in vielen anderen Branchen ist auch die digitale Entwicklung notwendig, aber gleichzeitig auch eine große Chance für neue Wege und Steigerung der Effektivität.
2. Letztes Jahr hatte auch Deutschland mit den Auswirkungen des Klimawandels zu kämpfen durch starke Überflutungen. Sind dadurch Dienstleistungen entstanden in Ihrem Unternehmen? Welche Dienstleistungen bieten Sie sowieso schon an im Bereich "Schutz vor Hochwasser"?
Wir können den Trend zu Extremereignissen bei Hochwasser und Dürre schon seit einigen Jahren erkennen. Bisher sind die Extremereignisse jedoch nur sehr lokal aufgetreten, so dass die Ereignisse vom Juli 2021 schon eine neue Dimension aufzeigen. Als Emschergenossenschaft und Lippeverband haben wir eine besonders große Herausforderung bzgl. des Hochwasserschutzes, da ein großer Teil unseres Verbandsgebietes aus Polderflächen besteht, d.h. die Flächen müssen dauerhaft über Pumpwerke entwässert werden. Zudem ist unser Einzugsgebiet extrem stark versiegelt, so dass die Hochwasserwellen sehr schnell auflaufen. Bei Hochwasser müssen wir sehr schnell reagieren, deshalb sind wir darauf immer gut vorbereitet. Auch das Krisenmanagement ist sehr ausgefeilt. Aufgrund der jetzt gestiegenen Anforderungen müssen wir aber auch auf allen Ebenen reagieren und haben die Herausforderung unverzüglich aufgenommen und eine Roadmap mit Maßnahmen entwickelt, die wir aber nur gemeinsam mit allen Beteiligten der Kommunen, Behörden, Politik, Feuerwehren, THW und vor allem den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern umsetzen können. Wir haben mit allen Städten, der Industrie, Behörden und Politik Workshops durchgeführt und im eigenen Hause Verstärkungen unseres harten Hochwasserschutzes aufgenommen. Aber auch zur Beurteilung und Kommunikation der Krisenlage werden noch schnellere Prozesse benötigt. Neben der Kommunikation müssen die Vorsorge bei der Bebauungsplanung und Schaffung von Retentionsräumen intensiv betrieben werden.
3. Welche Veränderungen haben Sie identifiziert auf Grund des Klimawandels im Flussgebietsmanagement oder Regenwasserbewirtschaftung?
Der Anstieg der Durchschnittstemperatur ist in unserer Region eindeutig durch die schon langfristige Aufzeichnung der Wetterdaten in unserem Verbandsgebiet nachweisbar. Der Stress für unsere Gewässer hat zugenommen, da die Extreme von Starkregen und Dürre zunehmen. Durch längere Perioden von Niedrigwasser oder Trockenheit verschwinden einige Arten aus den Gewässern, wodurch der Artenreichtum abnimmt. Vor allem die Erwärmung der Gewässer hat einen hohen Einfluss auf die Gewässerqualität. Hier muss mit Beschattung entgegengewirkt werden. Durch Einleitungen von gereinigtem Abwasser bzw. bei Mischwasserabschlägen bei Regenereignissen wird der Stress für die Fauna hinsichtlich Menge und Qualität größer. Bei den zahlreichen Gewässerausbaumaßnahmen wie beim Emscher-Umbau, bei dem wir rund 330 km Gewässer ökologisch verbessern, werden wo eben möglich die Schaffung von Ersatzauen und Beschattung berücksichtigt. Leider werden die Möglichkeiten in unserem dichtbesiedelten Gebiet oft durch die enge Bebauung eingeschränkt.
4. Das Deutsche Infrastrukturnetz ist schwer zu unterhalten. Wie bewerkstelligt Ihr Unternehmen dies bzw. gibt es Innovationen in diesem Bereich aus Ihrem Unternehmen?
Die Werte der wasserwirtschaftlichen Infrastruktur sind den Bürgerinnen und Bürgern weitgehend nicht bewusst, da sie unterirdisch verborgen sind oder eher im Abseits stehen wie Kläranlagen und Pumpwerke. Eine Kläranlage kann wie viele andere Industrieanlagen betrieben und instandgehalten werden; bei den Kanälen ist es schon schwieriger. Hier ist die in den vergangenen Jahren deutlich weiterentwickelte Technik bis hin zur künstlichen Intelligenz eine große Hilfe. Der Aufwand für eine Begehung bei Großkanälen durch Betriebspersonal ist groß und kann durch neue Methoden wie Befahrung von Robotern oder Befliegung von Drohnen zunehmend vermieden werden. Sanierungsverfahren, die durch die Schachtöffnungen erfolgen, sind heute schon viel schneller und schonender für den Verkehr durchzuführen. Bei Verlust der Tragfähigkeit bleibt aber leider oft nur die komplette Erneuerung. Aber auch da gibt es Weiterentwicklungen. Für unseren großen Abwasserkanal Emscher haben wir ein aufwändiges Kanalinspektionssystem entwickelt, das nun schon bald erneuert werden muss. Da hoffen wir auf tolle Lösungen auf dem Markt.
5. Wie kann die Branche über ausreichend und gut ausgebildetes Personal verfügen bzw. neue Talente anwerben?
Die Gewinnung von Personal ist bereits heute eine große Herausforderung, obwohl wir als Arbeitgeber schon sehr gute Voraussetzungen bieten können. Wir müssen schon früh mit den jungen Menschen z.B. über Praktika und im Studium in Kontakt kommen und selber viel ausbilden. Das ist dauerhaft eine große Aufgabe. Aber auch gemeinsam die idealen Arbeitsplatzkonstellationen zu finden ist ein wichtiges Thema.
6. Ab 2030 dürfen keine Autos mit Verbrennermotor mehr verkauft werden in Europa. Was sind hieraus die Folgen für das Straßennetz in Europa?
Und wie reagiert Ihr Unternehmen hierdrauf? Gibt es hier Veränderungen im Bereich Logistik (mehr über die Wasserwege zum Beispiel)? Auch in Zukunft werden wir auf Mobilität angewiesen sein. Aber es gilt bei allen Prozessen den Transport zu minimieren. Unsere Betriebsfahrzeuge werden bi s 2025 auf Elektroantriebe umgestellt und die Eigenenergieerzeugung wird so weit wie möglich ausgebaut. Bei Baumaßnahmen achten wir verstärkt auf kurze Transportwege, insbesondere bei Bodentransporten. Wo möglich bewerten wir den Umweltschutz bei Ausschreibungen stärker. Das führt auch zu schonenden Transportwegen z.B. per Schiffe, wie bei einer großen Deichbaumaßnahme in Haltern. Auch künftig werden wir verstärkt auf Elektromobilität und ggf. Wasserstoff setzen. Die Energieeffizienz ist ein großes Ziel auf all unseren Anlagen und es lohnt sich, alle Bereiche unter diesem Gesichtspunkt zu überprüfen. Wenn durch Umstellung einer Ölheizung auf Wärmepumpe umgestellt wird, entfällt beispielsweise der Transport von Heizöl, und bei künftig grünem Strom auch die CO2- Emission.